Das große Krabbeln
Journey of a Roach - Article - Das große Krabbeln
Journey of a Roach
07.11.13 17:57 Test
In meiner Preview bezeichnete ich „Journey of a Roach“ als „witzig, warmherzig und ungemein clever!“. Im vollständigen Test erfahrt ihr nun, ob dieser Ersteindruck gerechtfertig war und ob da ...
Interessante Grundprämisse
Im originellen Krabbeladventure „Journey of a Roach“ steht die Welt am Abgrund. Ein Atomkrieg hat die Erde beinahe vollständig zerstört und für Menschen unbewohnbar gemacht, lediglich einige Insekten können in der veränderten Atmosphäre noch überleben und sind von einstmaligen Bewohnern eines Mikrokosmoses zu den alleinigen Herrschern der Erde geworden. Eines dieser Insekten, die mutige, überaus intelligente Kakerlake Jim, durchstreift gemeinsam mit ihrem Kumpel Bud den Planeten auf der Suche nach der letzten existierenden Blume, die den gesamten Kosmos verändern könnte. Doch dummerweise gehört Bud zu den tollpatschigsten Vertretern der Spezies Kakerlake, die es in dieser postapokalyptischen Welt zu geben scheint, weshalb die Beiden immer wieder ihr eigentliches Ziel aus den Augen verlieren, da Jim des Öfteren als Retter seines Kumpels fungieren muss.

Das wird gleich in der ersten spielbaren Szene des Spieles überdeutlich und zieht sich wie ein roter Faden durch den folgenden Spielverlauf: Bud stürzt in die Tiefe und wird unter einem mit Atommüll gefüllten Fass eingequetscht. Ist der Freund gerettet, kann das Abenteuer auch schon losgehen. Bemerkenswert an der düsteren Grundprämisse des Spieles ist die diametral entgegen gesetzte Atmosphäre des Adventures, die - dem deprimierenden Szenario zum Trotz - humorvoll und albern geraten ist. Das liegt zum einen an den intelligenten Anspielungen auf bekannte Dystopien (ob literarischer oder filmischer Natur) und zum andern an den unglaublich lustigen und süßen Figuren.
Getragen wird das Spiel zusätzlich von einer unglaublich schicken 3D-Comicgrafik, die aufgrund des Entwicklerstudios Koboldgames zwar sehr von den üblichen Daedalic-Titeln abweicht (lediglich die Zwischensequenzen erinnern an deren typischen Look), aber ebenfalls bestens zu überzeugen weiß. Sie mag vielleicht nicht auf dem neuesten technischen Stand sein, doch das ist aufgrund der sympathischen Visualisierung der Kakerlakenwelt auch nicht weiter tragisch. Hier hat Koboldgames ganze Arbeit geleistet!

Skurrile Figuren, tolles Setting
Die Welt von „Journey of a Roach“ ist mit allerhand schrulliger Gestalten bevölkert, die immer wieder zum Lachen animieren und berühmten popkulturellen Vorbildern nachempfunden sind. So gibt es beispielsweise eine zwielichtige Gangster-Assel, die an Figuren aus diversen Mafia-Filmen erinnert oder eine auf Coolness bedachte Motte, die gemeinsam mit einer Freibeuterspinne Hütchenspiele ausrichten. Natürlich in einer heruntergekommenen Film-noir Bar, wo denn auch sonst. Erfreulicherweise achten die Entwickler von Koboldgames nicht zu sehr auf „Kinderkompatibilität“ – obgleich auch diese das Spiel uneingeschränkt spielen könnten - und schrecken daher auch nicht vor einem deftigen Schuss schwarzen Humors zurück (allerhand überzogene Karikaturen haben es daher mit in das Spiel geschafft, so gibt es ein kiffendes Glühwürmchen, eine ganze Armee skrupelloser Brutaloameisen und mehrere George Orwell-Anspielungen). Dieser Humor überschreitet jedoch nie die Grenze zum Zynismus, weswegen das Spiel durch und durch sympathisch bleibt. Die ideenreich gestaltete Insektenwelt wirkt zudem wie eine erwachsenere Version der Welt aus Disneys „Das große Krabbeln“ und bietet älteren Spielern eine Vielzahl lustiger Querverweise auf die Film- und Videospielgeschichte.

Lustige Kommunikation trotz fehlender Dialoge
Ein einziges Gespräch der beiden Kakerlakenfreunde sollte ausreichen, um die unglaublich hohe humoristische Qualität von „Journey of a Roach“ zu erkennen (hier empfehle ich allen Interessierten den sehr gelungenen Trailer). Das alberne Gebrabbel erinnert nicht selten an die abgedrehten Kommunikationsversuche der Minions aus den „Ich einfach unverbesserlich“ – Filmen und hat einen vergleichbaren Effekt auf die Lachmuskeln der Zuschauer bzw. Spieler. Doch viel bemerkenswerter als der „Witz“ der Dialoge ist die Tatsache, dass es im Grunde gar keine Dialoge in diesem Adventure gibt.

Denn Gesprochen wird im herkömmlichen Sinne zu keiner Sekunde des Spiels (ähnlich wie bei „Machinarium“) und lediglich lustig animierte Sprechblasen helfen den Spielern beim Erkennen ihrer Aufgaben. Das ist gleichsam mutig, originell und ungemein spannend!
Denn Dialoge gehörten seit jeher zu den unveränderbaren Standartzutaten eines Point-and-Click Adventures, da viele der Rätsel ausschließlich über die spielinterne Kommunikation funktionierten oder zumindest mit dieser verknüpft waren. Auch das Charakterisieren der Spielfiguren ist ohne Dialoge ungemein schwer, weshalb es Koboldgames hoch anzurechnen ist, dass man sich gleich von Beginn an mit Jim identifizieren kann. In „Journey of a Roach“ konzentriert sich das clevere Entwicklerteam aber vor allem auf die absolute Quintessenz des Genres: Die Rätsel selbst.

Klassische Rätsel mit originellem Anstrich
Obgleich das Spiel mit einer Vielzahl an Rätseln aufwartet, die man in einer sehr ähnlichen Grundstruktur bereits aus anderen Adventures kennt (die klassische Schlüsselsuche beispielsweise), hinterlassen beinahe alle Denkeinlagen einen ungemein frischen Eindruck, da sie – und das ist wirklich neu – über mehrere Raumdimensionen verteilt sind. Denn Jim und seine Kakerlakenkumpel Bud können, ihrer Insektenart entsprechend, ohne weitere Probleme an Wänden laufen und es sich sogar an der Zimmerdecke bequem machen. Das ist ein Segen für das Rätseldesign, da mancherlei Problemlösung nur durch ein Absuchen des gesamten Raums funktionieren kann. Da ich (weitere) Spoiler vermeiden will, verweise ich alle Interessierten auf meinen Preview-Artikel, in dem ich eines der frühen Rätsel des Spieles ausführlich beschrieben habe. Die Rätsel werden im weiteren Spielverlauf logischerweise sehr viel anspruchsvoller und können gegen Ende mit einigen richtig harten Kopfnüssen aufwarten, die jedoch glücklicherweise niemals unfair werden.

Simple Steuerung, teils schwierige Kamera
Gesteuert werden die beiden Kakerlaken übrigens mit den Shooter-Standart-Tasten WASD, was das Erforschen der Welt zu einer angenehm simplen Angelegenheit werden lässt. Die Maus wird adventuretypisch natürlich auch mit einbezogen und ist für das Öffnen des Inventars, das Aufheben von Gegenständen und das Auslösen von Aktionen zuständig – ganz genretypisch eben. Das einzige, was das Spielen ein wenig erschwert ist auch gleichzeitig eine der gelungensten Innovationen: das Krabbeln an den Wänden. Denn die Kamera findet leider nicht immer die beste Position, was ab und an mal zu kleineren Übersichtsschwierigkeiten führt. Allerdings kann man mit einem Druck auf die Leertaste für ein Herauszoomen sorgen, das diesen Problemen meistens Abhilfe verschafft.
Erfahre hier, wie der Titel in unserer Wertung abgeschlossen hat.

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Erstellt von George Stobbart
Zuletzt online: 7 Jahre 1 Monat
Kategorie:
Test
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Aktualisiert
07. 11. 2013 um 17:57
07. 11. 2013 um 17:57
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