A Plague Tale: Innocence
Einzelschicksale während einer Katastrophe
Geschichtlich spielt “A Plague Tail“ im Frankreich des 14. Jahrhunderts. Die Pest wütet und versetzt das Land in Chaos, wohin das Auge reicht sind die Dörfer und Felder von infizierten Ratten befallen. Der Spieler begleitet dabei die junge Amicia, die bei der Jagd mit ihrem Vater auf grausame Weise von der Pest Zeuge wird. Der Hund der Familie wird in einem Waldstück auf geradezu mysteriöse vom Erdboden verschlungen. Vater und Tochter kehren in ihr Dorf zurück um von den Vorkommnissen zu berichten. Kurz darauf trifft jedoch die Inquisition ein und Amicia muss mit ansehen, wie ihr Vater hingerichtet wird. Die Inquisition ist auf der Suche nach Hugo, dem kleinen Bruder von Amicia, welcher an einer unerklärlichen Krankheit leidet und deswegen noch nie das Familienhaus verlassen hat. Während die Inquisition das gesamte Dorf abschlachtet schaffen es Amicia und Hugo zu fliehen, ihre Mutter wird bei der Flucht jedoch geschnappt und ebenfalls vor den Augen der beiden Kinder ermordet. Nun liegt es an Amicia ihren kleinen Bruder Hugo zu dem Arzt der Familie zu bringen um dort in Sicherheit zu kommen.
Der Anfang der Geschichte legt den erzählerischen und inszenatorischen Grundstein für den Rest des Spiels: Ungemein erbarmungslos und konsequent erzählt „A Plague Tail“ von den Schrecken des Krieges und der Pest. Die Beziehung der beiden Geschwister ist dabei klarer narrativer Mittelpunkt, die sich während ihrer Reise immer weiter annähern. Der Fokus liegt klar auf der emotionalen Bindung, die der Spieler zu den beiden Hauptfiguren aufbauen soll und weniger auf tiefgreifenden spielerischen Aspekten. Spiele wie „Life is Strange“ oder „The Last Guardian“ konnten hierbei in der Vergangenheit schon eindrucksvoll unter Beweis stellen, welche erzählerische Möglichkeiten in Videospielen stecken. Dabei erinnert die Geschichte von „A Plague Tail“ stark an den Anime „Die letzten Glühwürmchen“, in dem zwei Geschwister im Nachkriegs-Japan auf sich alleine gestellt ums Überleben kämpfen müssen. Und was schon 1988 in filmischer Form für herzergreifende und bewegende Momente gesorgt hat, zeugt auch 2019 in Form des Videospiels von ganz ähnlicher emotionaler Wucht. „A Plague Tail“ strebt keine große Erzählung über das Leben im mittelalterlichen Frankreich an, die Beschränkung auf das Schicksal zweier Kinder kreiert ein weitaus wirkungsvolleres Bild von den Grausamkeiten jener Zeit. Der sehr persönliche Umgang mit dem Tod findet oftmals in den Nebendialogsequenzen statt. Amicia muss beispielsweise ihrem Bruder Hugo klar machen, dass ihre beiden Elternteile nicht mehr leben, während Hugo nicht verstehen will, was der Tod eigentlich bedeutet. Durch genau solche Nebendialoge festigt sich nicht nur die Beziehung zwischen Amicia und Hugo, auch der Spieler rückt immer an die Charaktere heran.
Zwar ist der Tod bei der Reise der beiden Geschwister allgegenwärtig, die explizite Inszenierung und Darstellung dessen sorgt jedoch auch nach mehreren Spielstunden noch für Magengrummeln. So muss beispielsweise ein lebendiges Schwein den Ratten „geopfert“ werden, um eine Ablenkung zu schaffen. Gepaart mit der unschuldigen Charakterisierung von Amicia und Hugo schmerzt jeder vollzogene Mord oder gezeigte Tod auch beim Spieler. Da die Schrecken der Pest und des Krieges eine ebenso konsequente Vorgehensweise zum Überleben erfordern, kommt es in der Geschichte immer wieder zu den Momenten, in denen der Spieler vor die Wahl gestellt wird, sich dem schnellen, dafür aber gewaltvollen Weg zu stellen, oder doch den aufwendigeren, aber gewaltfreien Weg zu wählen. Hinzu kommen einige spannende Twist, welche die Geschichte in 16 Kapiteln sinnvoll ausfüllen.Rein erzählerisch bietet „A Plague Tail“ eine toll geschriebene und emotional gestaltete Geschichte, die erbarmungslos und wenig zimperlich eine Zeit abbildet, die im Rahmen der Videospiele bisher sehr oft unerwähnt blieb. Die Geschwisterbeziehung von Amicia und Hugo wird mitreißend präsentiert und schafft es, eine immersive Wirkung hervorzurufen. Asobo Studios zeigt hier einmal mehr, dass kein riesen Budget eines AAA-Titels notwendig ist, um großartige Geschichten zu erzählen.
Überschaubar, aber effektiv
Das Gameplay ordnet sich der Erzählung unter und kommt somit recht überschaubar daher. Im ersten Kapitel werden die Grundlagen des Gameplays eingeführt und in stimmigen Gewand präsentiert, ohne dass das Spiel dabei belehrend wirkt. Ein Großteil von „A Plague Tail“ wird im Stealth-Modus bestritten, wobei Bruder Hugo entweder an der Hand geführt werden muss, oder, je nach Situation, losgelassen werden kann um Aufgaben zu bewältigen. So kann er beispielsweise durch kleine Löcher in der Wand hindurchkriechen, um die Tür von der anderen Seite für Amicia zu öffnen. Diese Einsatzmöglichkeiten variieren jedoch von Kapitel und Kapitel, wodurch im kleinen Rahmen für Abwechslung gesorgt ist. In den angesprochenen Stealthpassagen kann die Spielwelt auf verschiedene Art und Weise genutzt werden. So ist trotz der stringenten Erzählweise für ausreichend Variation in den Schleichsequenzen des Spiels gesorgt. Das Spielgeschehen wird dabei aber auch durch Verfolgungspassagen aufgelockert, in denen schnelle Entscheidungen getroffen werden müssen, die meist durch einen aufwühlenden Soundtrack unterlegt sind.
Als Waffe hat Amicia eine Steinschleuder, mit der nicht nur Gegner ausgeschaltet werden, sondern auch umliegende Objekte zur Ablenkung als Zielscheibe dienen können. Da die Ratten sich nur mit Licht bekämpfen lassen, müssen immer wieder neue Lichtquellen geschaffen werden. Der Druck zum Handeln wird dabei situativ erhöht, indem manche Lichtquellen nur eine gewisse Zeit Licht spenden können. Alicia eignet im Laufe des Spiels immer mehr alchemistische Fähigkeiten an, was dazu führt, dass verschiedene Arten von Wurf- und Schleudergeschossen entwickelt werden können. So gibt es beispielweise eine Substanz, mit der weit entfernte, ausgebrannte Lagerfeuer wieder entfacht werden können. Zur Herstellung dieser Substanzen und zur Verbesserung des Inventars können in der Spielwelt verteilt Materialien und Rohstoffe gesammelt werden. An Werkbänken können diese dann zur Aufwertung des Rucksacks oder zum schnelleren Schleudern eingesetzt werden. Die Möglichkeiten der Verbesserung gestalten sich sehr überschaubar, bieten aber ausreichend Tiefe um die Motivation im Gameplay aufrecht zu erhalten. In den vereinzelten Kämpfen muss behutsam vorgegangen werden, denn jeder gegnerische Treffer bedeuten einen sofortigen Tod. Dadurch sorgen auch die unspektakulärsten Kämpfe für jede Menge Nervenkitzel, wobei die gegnerische KI hier und da Schwachpunkte deutlich macht. In den Schleichpassagen kann es vorkommen, dass Amicia entdeckt wird, obwohl sie sich in scheinbar sicherer Entfernung zum Gegner befindet. Dadurch kann die KI nur schwer eingeschätzt werden, was dem Spielfluss etwas im Wege steht. Solche Momente kommen jedoch verhältnismäßig selten vor und haben demnach keinen großen Einfluss auf den Gesamteindruck.
Erbarmungslosigkeit & Detailverliebtheit
Atmosphärisch ist “A Plague Tale“ ab der ersten Sekunde schlichtweg großartig. Schon das Menü gestaltet sich sehr stimmig, unterlegt mit einem wunderbaren Soundtrack entsteht schnell ein immersiver Charakter, der sich wie ein roter Faden durch das Spiel zieht. Anfangs wird noch ein helles Setting gewählt, eine sonnendurchflutete Waldlichtung suggeriert eine friedliche und idyllische Atmosphäre, mit der jedoch unmittelbar gebrochen wird. Der plötzliche Stimmungswechsel wird dabei auf akustischer Ebene verstärkt und veranschaulicht deutlich, welche Grundstimmung „A Plague Tale“ innehat. Auch grafisch lässt sich wenig meckern, zwar sind die Gesichtsanimationen etwas hölzern, die Kamera befindet sich die meiste Zeit aber in gesunder Distanz, sodass diese kleineren Probleme vernachlässigt werden können. Die Cutscenes sind toll inszeniert und auch die Lichtsetzung sorgt für einige beeindruckende Momente. Hinzu kommt die überzeugende Synchronisation der Spielfiguren, die sowohl in der englischen, als auch in der deutschen Version zum tollen Gesamteindruck beiträgt. „A Plague Tail“ zeigt einmal mehr, welche Wirkung eine liebevolle Detailarbeit haben kann. Viele AAA-Titel zeugen zwar von bombastischen Spielwelten und ausgefeilten Grafiken, den Charme eines Indie-Spiels können dabei aber nur die wenigstens Spieleblockbuster erreichen. „A Plague Tail“ bedient sich beider Seiten und entwirft ein atmosphärisches und packendes Gesamtwerk, dass abermals zeigt, welche erzählerischen Möglichkeiten Videospiele innehaben.
Erfahre hier, wie der Titel in unserer Wertung abgeschlossen hat.
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Erstellt von Rufus
Zuletzt online: 3 Jahre 8 Monate
Kategorie:
Test
Veröffentlicht
Aktualisiert
28. 05. 2019 um 13:53
04. 06. 2019 um 17:45
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