Seit nunmehr sechs Jahren bevölkern die Avengersfilme aus dem Marveluniversum die Kinolandschaft und jedes Jahr darf ein altbekannter oder neuer Superheld mit seinem eigenen Film Hollywood erobern. Da gehört Spider-Man schon fast zum alten Eisen, denn der erste Streifen des schwingenden Superheldens liegt schon beinahe 20 Jahre zurück. Aus der Mode gekommen ist Spider-Man aber nicht, denn das neuste Mitglied der Avengers zierte dieses Jahr, verkörpert von Tom Holland, mit Spider-Man: Homecoming die Kinoleinwand. Nach Tobey Maguire und Andrew Garfield und mehreren mittelmäßig bis schlechten Verfilmungen konnte Tom Holland unter der Regie von Jon Watts mit einem starken Debüt endlich wieder für Begeisterung und Euphorie sorgen. Aber nicht nur filmisch, auch videospieltechnisch kamen Liebhaber der Comics in regelmäßigen Abständen stets auf ihre Kosten. Insgesamt elfmal zierte Spider-Man das Cover seiner Videospiel-Serie, zuletzt 2014 in „The Amazing Spider-Man 2“, welches jedoch mit einer nervenaufreibenden Steuerung und wenig innovativen Spielinhalten zu kämpfen hatte. Nun wagt sich Insomniac Games, unter anderem bekannt für ihre enge Zusammenarbeit mit Naughty Dog (Crash Bandivoot, sowie Jak and Daxter), an den Marvel-Superhelden und geht direkt aufs Ganze, denn mit Sony als Publisher muss sich Marvel's Spider-Man gegen den Hauptanwärter für das Actionspiel des Jahres – God of War 4 – behaupten. Kein leichtes Unterfangen, denn God of War 4 konnte nicht nur durch ein überragendes Gameplay, sondern auch mit einer herzergreifenden Story punkten. Auf der diesjährigen Gamescom konnte Spider-Man schon einmal einen erfolgreichen Start hinlegen und räumte den Gamescom-Award für das beste PS4-Spiel der Messe ab. Doch werden im fertigen Spiel die hohen Erwartungen erfüllt und kann Spider-Man dem starken Druck der riesigen Franchise im Nacken standhalten? Die Antwort: Ja, und das so stylisch und bombastisch wie noch nie! Warum? Der folgende Test bringt die Antworten!
Neue Geschichte, Alte Bekannte
Die PS4-Exlusive-Version von Spider-Man besitzt keinen speziellen Filmbezug und präsentiert sich somit als autarker Ableger der Reihe, was dem Spiel auch sehr gut tut, da es sich nicht um ein Abhandeln der wichtigsten Filmszenen handelt, sondern die Story komplett für sich alleinsteht und somit wesentlich harmonischer funktioniert. Nachdem Spider-Man seinen ewigen Widersacher Wilson Fisk, nach einer furiosen Prügelorgie, endlich hinter Gittern bringen konnte, steht auch schon der nächste Bösewicht vor der Tür. Die sogenannten Inner Demons, eine maskierte Terroristengruppe, versetzen unter Befehl von Mr. Negative ganz New York in Angst und Schrecken. Neben dem Bandenkrieg zwischen den Inner Demons und Wilson Fisks Gefolgschaft plant die Terrorgruppe mehrere Anschläge auf Zivilisten und Polizisten, die Spider-Man zu verhindern versucht. Und auch abseits des Spider-Man-Anzugs verläuft es für Peter Parker alles andere als leicht, denn der Bürgermeister der Stadt – Norman Osborn – kürzt kurzerhand die Förderungsgelder für das Labor, in dem Peter als Hilfswissenschaftler an Seite von Dr. Octopus an bahnbrechenden Projekten forscht, welcher die Kürzung alles andere als positiv aufnimmt. Auch Tante May benötigt Peters Hilfe, ihre Arbeit im Obdachlosenheim erfordert ebenfalls Unterstützung.
Natürlich darf auch Spider-Mans große Liebe, Mary Jane Watson nicht fehlen, diesmal nicht in der Rolle der Nachbarin von Peter, sondern als Journalistin, die den Fall der Inner Demons untersucht und auch möglichen Schwierigkeiten nicht aus dem Weg geht.
Schnell wird deutlich, dass es sich hierbei um eine komplette Eigeninterpretation des Superhelden handelt, die dem Spielgeschehen positiv entgegenkommt. Neben den erwarteten Kampfpassagen kommt es zu durchaus ruhigen und emotionalen Momenten, die zwar nicht an die Vater-Sohn-Beziehung in God of War 4 herankommen, trotzdem aber eine beeindruckende Wirkung und Bildgewalt besitzen. Vor allem der erzählerische Wechsel zwischen Spider-Man, Peter Parker und Mary Jane sorgt hier für tolle Stimmungswechsel, obwohl die verschiedenen Erzählstränge auf inhaltlicher Ebene eng zusammenhängen, was bisher in der Film- sowie Spielreihe selten der Fall war. Auch bekannte Bösewichte werden nicht stumpf in das Spiel eingebaut um auch möglichst alle Inhalte der Spider-Man-Franchise unterzubringen, alle Begegnungen machen im Bezug zur Story Sinn und sorgen für den ein oder anderen Nostalgiemoment, ohne dabei zu erzwungen zu wirken.
Atmosphärisch trifft Spider-Man perfekt den Stil und Ton der Filmreihe, stellt diesen dabei jedoch nicht 1:1 nach, sondern verleiht jeder Figur ihren ganz eigenen Touch, coole und witzige Sprüche dürfen dabei natürlich auch nicht fehlen. In Sachen Humor sorgt Spider-Man in regelmäßigen Abständen für Schmunzler und gibt dem Superhelden seine gewohnt lässige Art, ohne dabei zu albern zu werden. Fans und Neulinge gleichermaßen dürfen sich also auf eine spannende, hollywoodreife Erzählung mit vielerlei Anspielungen, Action und liebevoller Detailarbeit freuen, der auch ihre Ernsthaftigkeit nicht abhandenkommt.
Das etwas andere Sightseeing
In Sachen Grafik glänzt Spider-Man in allen Belangen und zeigt, zu was die PlayStation in der Lage ist. Großartige Gesichtsanimationen und beeindruckende Actioninszenierungen stehen selbst aktuellen Kino-Blockbustern wie allen voran den neusten Avengers-Teilen in ihrer Optik in nichts nach. Und bei all den Explosionen und Gegnerwellen kommt es nie zu einem Frameeinbruch, das Spiel läuft extrem flüssig und unterscheidet in seiner Performance nicht zwischen Cutscene und Spielsequenz. Eine grandiose Weitsicht sorgt bei der sehr schnellen Fortbewegungsform für einen reibungslosen Ablauf, ohne das nervige Aufbauen und laden von Texturen.
Hinzu kommt eine unglaublich beeindruckende Darstellung von New York City. Die belebte Spielwelt glänzt mit ihren befahrenen Straßen und bevölkerten Fußgängerzonen. Es wird klar sichtbar, wie viel Arbeit in ein möglichst lebendiges Spielgefühl gesteckt wurde, denn sogar Orte wie Basketballfelder und Tennisplätze sind nicht nur mit Menschen bestückt, eigens dafür entwickelte Dialoge und Animationen geben ihnen ihren ganz eigenen Charme. Selbst scheinbar nebensächliche Seitengassen wurden mit viel Liebe möglichst realistisch umgesetzt. Tageszeitenwechsel zeigen New York sowohl im glänzenden Sonnenaufgang, als auch im bewölkten oder bei Nacht, jedes Setting sorgt für eine andere Stimmung. Auch Innenräume, die in den Storymissionen ihren Platz haben, glänzen mit Detailverliebtheit und Abwechslungsreichtum. Jedes wichtige Wahrzeichen New Yorks findet in der Spielwelt seinen Platz und macht die ein oder andere Nebenmission zu einer Sightseeingtour im Spider-Man-Style.