Point’n’Click-Aventure sind so eine kleine Sensation: Weltweit oftmals belächelt, gehören sie in Deutschland bis heute zu den beliebtesten Genres überhaupt. Ob sich dieses wunderschöne Abenteuer für jedermann lohnt oder es nur Kost für alte Hasen des Genres darstellt, erfahrt ihr in der Review zu ENCODYA!
Story
Wir schreiben das Jahr 2062 in Neo-Berlin - das bekannte Stadtbild wich einer gigantischen, voll digitalisierten und globalisierten Megatropolis wo die Menschen größtenteils ihre Persönlichkeiten, Seelen und Emotionen aufgaben und der Technik verfallen sind. Aus grüner Natur wurde ein Stadtbild voller Screens und Neonbanden.
Die Roboter sind als vollwertige Mitglieder der Gesellschaft zum besten Freund des Menschens geworden, haben das öffentliche Leben im Griff, übernehmen den ganzen Haushalt und auch das Erziehen vieler Kinder. Wo andere Spiele nun eine stählerne Machtübernahme inszenieren würden, schlägt ENCODYA in eine andere Kerbe: Der Verfall der Gesellschaft zum Komfort zum Cyberspace und dem Entfliehen in virtuelle Welten. Dass der Überkonsum tödlich sein kann, ist denen vollends egal.
Das Ganze passiert zum Wohlergehen des korrupten Bürgermeisters Rumpf - wer sollte ihn schon abwählen, wenn alle Menschen dem Cyberspace verfallen und in ihrer Verstandlosigkeit vollkommen zufrieden mit Status quo sind?
Mitten in dieser Hölle spielen wir die neunjährige Tina, eine Waisin, die seit jeher mit ihrem Roboter SAM-53 in provisorisch errichteten Lagern auf den Dächern des dystopischen Berlins lebt und seit jeher davon lebt, was sie zwischen Müll und Schrott finden kann.
Eines Tages aber folgt der Schock für das kleine Kind - die Regierung rund um Rumpf sucht nach SAM, um ihm den Garaus zu machen! Von nun an beginnt ein Abenteuer rund um die Flucht der mutigen Tina und ihrem treuen Roboterfreund - tauche ein in eine dystopische Welt und versuche, die Intrigen der Regierung aufzudecken, die Gesellschaft ihrer selbstauferlegten Ketten zu entreißen und die Geheimnise rund um Tinas Familie zu entschlüsseln.
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Alles in allem hält ENCODYA dem Spieler zwischen den Zeilen den Spiegel ins Gesicht und rechnet mit der heutigen Zeit und Gesellschaft ab. Das “Cyberspace” stellt in dem Spiel eine Droge dar, die einzelne Existenzen zerstörten, ganze Familien zerrütteten und die Verfallene wie Zombies ohne Hirn, aber dafür mit einer VR-Brille geistesabwesend durch die Straßen Neo-Berlins ziehen lässt. Diese philosophische Komponente reißt das Spiel aus dem sonst jugendlich gehaltenem Schema raus und offenbart sich vor allem im Nachhinein als ein Meisterwerk spielgewordener Gesellschaftskritik. Was bereits im Kurzfilm “Robot Will Protect You”, auf welchen das ganze Spiel beruht, gut angefangen hat, wurde nun in ENCODYA endlich finalisiert und perfektioniert.
Auch wenn ENCODYA das x-te dystopische Cyberpunkspiel der letzten Monate ist, kommt es mit wunderbaren Ansätzen daher und trumpft mit einer schön-finsteren Geschichte auf, die in einem grandiosen Spannungsbogen verläuft und wunderbar erzählt wurde. Trotz ihres kindlichen Charmes darf man sich als betagter Spieler nicht abschrecken lassen, da das dargestellte, tiefgründige Szenario für jung bis alt relevant und begeisternd sein kann.
Gameplay
Spiel mir das Lied vom Point’n’Click-Aventure: ENCODYA reiht sich wie Deponia, Leisure Suit Larry oder Unforeseen Incidents in die Riege der modernen Klickerabenteuer ein.
Wer mit dem Genre gut vertraut ist, kann an dieser Stelle zum nächsten Punkt springen - ihr kennt es schon aus den oben genannten oder anderen Titeln.
Wer dieser wunderschönen Gattung der Spiele bislang fernblieb, für den folgt nun ein kleiner Crashkurs:
Spiele wie ENCODYA laden zu sehr viel Rätselspaß ein. Herzstück des Spiels ist meist das Inventar, welches sich mit der Zeit durch das Erkunden einzelner Umgebungen und durch das Interagieren mit der Umwelt füllt und wilde Kombinationen zwischen den einzelnen Gegenständen ermöglicht.
Diese Gegenstände sind im späteren Verlauf essentiell wichtig. Mal hilft uns ein Item das Beseitigen lästiger Hindernisse, mal müssen wir mit den anderen Charakteren dieser Welt tauschen um einen anderen, noch wichtigeren Gegenstand zu erhalten.
Ebenso müssen wir mit unserem Umfeld interagieren und der richtige Umgang mit den Dialogsoptionen ist das A und O. Soll uns ein Griesgram helfen, müssen wir unseren Charme spielen lassen und seine Laune auflockern - oder ach so schlaue KIs auslisten, dass sie uns aus Trotz helfen.
Alles in allem sind alle Rätsel in ENCODYA schlüssig und lassen sich nachvollziehbar lösen und stellen ein ideales Einsteigerabenteuer dar. Auch wenn man häufiger um mehr als nur eine Ecke denken muss sind die Rätsel nie unverschämt schwer und sorgen für mehr Spaß als Frust.
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Der besondere Kniff ist aber, welches das Spiel von anderen Genrenablegern etwas abheben lässt besteht daraus, dass sich beide Protagonisten, also sowohl Tina, als auch SAM-53 durch das gesamte Spiel frei steuern lassen und dass der freie Wechsel zwischen den beiden jederzeit möglich und erforderlich ist.
SAM nutzt hierbei seine überlegene Größe und Stärke um Orte zu erreichen und Sachen zu bewegen, denen Tina schlichtweg nicht gewachsen ist. Außerdem nutzt er seine Programmierung um mit anderen Robotern und Maschinen zu kommunizieren, die nicht auf die Sprache der Menschen ausgerichtet sind.
Tina wiederum spricht mit vielen Menschen, lässt den Charme eines kleinen Mädchens spielen und überredet andere Menschen dazu, ihr zu Helfen und übernimmt als Protagonistin den Großteil der Dialoge.
Insgesamt hat der Autor Nicola Piovesan ein ideales, sich perfekt ergänzendes Dreamteam geschaffen, welches sowohl inszenatorisch, als auch gameplay-technisch perfekt aufgeht.
Es ist, wie eingangs erwähnt, halt ein übliches Point’n’Click-Adventure und unterscheidet sich hinsichtlich des Gameplays kaum von anderen, modernen Vertretern des selben Genres. Es bewegt sich innerhalb der üblichen Standards und Konventionen und vollbringt dabei zwar keine Innovationen, macht aber auch nichts falsch. Dennoch widerspiegelt das Gameplay die Art und den Charme der Story und dazugehörigen Inszenierung perfekt wieder.
Gestaltung
Positives
+ süße, markante Charaktermodelle
+ abwechslungsreiche, höchstgradig kreative Orte
+ wunderbare Soundkulisse
+ sehr gute (englische) Synchronisation
+ “ Studio Ghibli meets Maze Runner” perfekt umgesetzt
+ enormer Charme durch popkulturelle Referenzen
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Neutrales
• keine deutsche Sprachausgabe (obwohl es in “Neo-Berlin” spielt!?)
• 2,5D-Grafiken haben manchmal leicht verwaschene Texturen zur Folge
Negatives
- manchmal zu viel Bewegung auf einer einzige Location; genaue Steuerung dabei nicht möglich
Fazit: ENCODYA bringt nun auch das aktuelle Trendsetting einer dystopischen Zukunft im Cyberpunk-Design in die Welt der Point’n’Click-Adventure und schafft damit, trotz seines eher kindlichen Aussehens, ein charmantes Meisterwerk voller Emotionen und Spannung, welches sich jeder Herzblutgamer mal anschauen sollte. Das Genre ist tot? Nicht mit ENCODYA!
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