Anthem
Nun steht mit Anthem ein Online-Actionspiel in den Startlöchern, was nach 6 Jahren Entwicklungs- und Promozeit an die Erfolge und Qualitäten der Vergangenheit anknüpfen will. Doch schon jetzt, kurze Zeit nach Release muss sich Bioware vielmehr um die hausinterne PR-Abteilung kümmern, als auf angestrebte Lobpreisungen anzustoßen. Stattdessen hagelte es Kritik von allen Seiten – etliche Bugs und Spielfehler sorgten für eine enttäuschte und verärgerte Fangemeinde, ersten Kritiken fielen alles andere als positiv aus und auch die Verkaufszahlen fielen dementsprechend deutlich hinter die Erwartungen zurück (angestrebt wurden Verkaufszahlen auf Battlefront 5 Niveau). Hinzu kamen vermehrt unschöne Gerüchte über den Umgang von EA mit öffentlicher Kritik. EA soll beispielsweise den Youtuber Gggmanlives aufgefordert haben, ein Kritikvideo zu Anthem zu löschen, um schlechte Promo zu vermeiden. Biowares Community Manager Jesse Anderson äußerte sich vor wenigen Tagen auf Reddit zu den massiven Vorwürfen und Kritikpunkten und versprach, an besagten Punkten zu arbeiten, um möglichst schnell ein unbeschwertes und problemloses Spielererlebnis zu ermöglichen. Waren die Erwartungen an Anthem einfach so groß, dass es praktisch unmöglich war, diese zu erfüllen oder erweisen sich die Kritikpunkte wirklich als dermaßen störend? Wie viel wurde dahingehend schon von Patches behoben? Im folgenden Test wird versucht, möglichst unbefangen an Anthem heranzutreten und das Spiel ausschließlich auf dessen Spielinhalte hin zu testen.
Der größte Feind ist der Mensch
Geschichtlich behandelt Anthem einen Überlebenskampf in einer fiktiven, von Göttern geschaffenen Welt. Kern dieser Welt ist die sogenannte Hymne, eine mysteriöse Energiequelle, welche einst von von den Göttern genutzt wurde, um den Planeten nach ihrem Belieben zu gestalten. Konfrontiert mit gefährlichen Lebewesen und Lebensformen befinden sich die wenigen menschlichen Bewohner in einem ständigen Kriegszustand. Mit Hilfe sogenannter Javelins werden die Siedlungen vor der lauernden Gefahr geschützt. Javelins sind Exo-Anzüge, die aufgrund hochentwickelter Technologie als Waffe genutzt werden. Auch die Hauptfigur, ein Freelancer ohne bekannte Identität gehört zu den wenigen menschlichen Lebewesen, die in der Spielwelt anzutreffen sind. Die Siedlung Fort Tarsis gilt dabei als Unterschlupf und Arbeitsplatz, denn zu den Aufgaben des Freelancers gehören verschiedene Aufträge der Siedlungsbewohner. Schnell wird klar, dass nicht die fremden Lebensformen als der große Feind gesehen werden sollte, vielmehr führen Konfrontationen zwischen den einzelnen Menschengruppen zu konfliktträchtigen Situationen. Fortan gilt es, die wertvollen Relikte, welche die Götter beim Erschaffen der Welt zurückgelassen haben, aufzusuchen um sie nicht in die falschen Hände kommen zu lassen.
EA hatte mit den ersten Story-Trailern große Erwartungen an die Geschichte des Open-World-Shooters geweckt. Ziel war es, laut eigener Aussage, eine „Neuerfindung persönlicher Geschichten in einem Multiplayer-Spiel“ zu präsentieren. Bioware konnte in der Vergangenheit stets mit großartiger Geschichtserzählung überzeugen, kann diese Voraussetzungen aber leider nur dezidiert in Anthem unterbringen. Mit Hilfe verschiedener Dialogoptionen besteht die Möglichkeit, die Geschichte auf eigenem Wege zu gestalten und zu erleben – soweit die Theorie. Dieser Ansatz klingt zwar grundsätzlich nicht enorm innovativ, hätte im Genre des Multiplayer-Shooters aber dennoch neue Impulse setzen können. Der angestrebte eigene Einfluss auf den Verlauf der Geschichte findet lediglich in recht unbedeutenden Nebenerzählungen statt, welche es in der Siedlung Fort Tarsis vorzufinden gibt. Die Hauptstory wird durch die unterschiedlichen Auswahloptionen nicht beeinflusst, wodurch die knapp 15h Spielzeit einem klaren, stringenten Verlauf folgt. Angesichts des Multiplayer-Faktors dürfte das wenig verwunderlich sein, nach der Ankündigung der „Neuerfindung persönlicher Geschichten in einem Multiplayer-Spiel“ dürfte und sollte die geringe Einflussnahme jedoch trotzdem kritisch hinterfragt werden.
Und leider kann auch die Geschichte von Anthem nicht die großen Erwartungen erfüllen. Einzelne Storyaspekte erweisen sich zwar anfangs als interessante Voraussetzungen für eine spannende Geschichte, verlieren sich aber schnell in dem konfusen Gesamtkonzept, was mit 15h Spielzeit auch deutlich zu kurz daherkommt.
Zu viert in die Schlacht
Das Wichtigste vorneweg: Anthem lässt sich nur mit gültigem PS-Plus Abo starten. Die Spielinhalte sind im Offline-Modus somit nicht zugänglich, was die Spielerzielgruppe etwas einschränkt, zunächst jedoch noch nicht als Kritikpunkt gesehen werden sollte. Anthem positioniert und vermarktet sich als Mehrspieler-Shooter, somit dient ein PS-Plus-Abo lediglich als Mittel zum Zweck und ist für das Spielprinzip unabdingbar. Zwar bietet Anthem auch die Möglichkeit, einen Großteil der Missionen im Singleplayer zu bewältigen, bestimmte Momente erfordern jedoch den Zusammenschluss einer Spielergruppe, ohne die es nicht möglich ist, die Mission zu starten. In der Gruppe machen die bunten und actiongeladenen Schießeinlagen aber auch wesentlich mehr Laune, außerdem können größere Endgegner somit auch schneller und einfacher erledigt werden. In den Kämpfen lassen sich die verschiedenen Fähigkeiten zu Combos zusammenfügen, was wesentlich mehr Schaden verursacht.
Aufgrund des oftmals etwas chaotischen Kampfprinzips geschieht die erfolgreiche Aneinanderreihung von Angriffskombination vielmehr zufällig, als klar strukturiert. Trotz allem schafft das Zusammenspiel in der Gruppe einen deutlich höheren Spielspaß und vereinzelte entstehende Frustmomente können dadurch vermindert werden. Völlig problemlos gestaltet sich der Koop-Modus jedoch nicht. Da jeder Spieler eigenständig die Dialogsequenzen in Fort Tarsis abhalten muss, kommt es vermehrt zu Wartezeiten und einem holprigen Spielfluss. In diesen Momenten wirkt das Koop-Prinzip einfach zu undurchdacht und unausgereift. Auch das Auskundschaften der Spielwelt sollte lieber im Singleplayer angestrebt werden, sobald nämlich ein Spieler der Gruppe den nächsten Missionscheckpoint erreicht hat, werden alle weiteren Gruppenmitglieder automatisch in die nächste Mission geworfen. Wirklich stark ins Gewicht fallen diese beiden Kritikpunkte aber insgesamt nicht. Man merkt, dass EA und Bioware das Hauptaugenmerk auf den Multiplayer-Aspekt gelegt haben, was die Möglichkeit des gemeinsamen Bestreitens der Missionen als äußert reizvoll erscheinen lässt.
Leblosigkeit mit Potential
Bezüglich der Spielwelt von Anthem lassen sich große qualitative Unterschiede innerhalb der einzelnen Ortschaften feststellen. Zwar ist die Spielwelt grundsätzlich aus grafischer Sicht einwandfrei inszeniert, vielerorts fehlt es aber an einer notwendigen Lebendigkeit. Dieses Problem wird schon beim ersten Besuch in Fort Tarsis deutlich. Bis auf wenige, vereinzelte Hintergrundgeräusche herrscht eine gähnende Stille, vorhandene NPCs (übrigens wesentlich weniger als noch in ersten Trailern gezeigt) zeigen hinsichtlich deiner Anwesenheit keinerlei Regung und befinden sich lediglich in nicht synchronisierten Gesprächen. Viel zu entdecken gibt es also nicht, auch die Dialogsequenzen mit einzelnen NPCs reißen Informationen zur Geschichte von Fort Tarsis nur peripher an. Da hilft auch ein 2-minütiges Intro mit den wichtigsten inhaltlichen Grundvoraussetzungen nicht viel weiter. Die Open-World von Anthem lässt zwar mancherorts ebenfalls etwas Lebendigkeit vermissen, hinterlässt insgesamt aber einen positiveren Eindruck. Die weitläufigen Bergketten und Höhlenabschnitte verleihen der Spielwelt einen gewissermaßen mysteriösen Charakter, der aber leider innerhalb der Missionen nicht genutzt wird. Die Missionen finden entweder in verlassenen Tempelruinen oder in Höhlen statt, wirkliche Abwechslung lässt auf sich warten, wodurch erneut das vorhandene Potential der Spielwelt weitestgehend ungenutzt bleibt.
Inszenatorisch der Konkurrenz voraus
Bezüglich der grafischer Inszenierung kommt die lange Entwicklungszeit am deutlichsten zum Vorschein, denn Anthem sieht in nahezu allen Belangen schlichtweg großartig aus. Auch wenn die zu bereisenden Ortschaften hinsichtlich ihrer detaillierten und lebendigen Darstellung etwas hinter die Gameplaytrailer zurückfallen - beeindruckend sind sie allemal. Riesige Wasserfälle, weitläufige Waldlandschaften oder wuchtige Bergpassagen – Anthem versteht es, die einzelnen Abschnitte der Spielwelt elegant in Szene zu setzen. Auch die Inszenierung der Feinde sorgt auf visueller Ebene für viele großartige Momente. Oftmals lassen sich die bösgesinnten Lebewesen in ihrem Auftreten gar nicht so recht zuordnen, was dem gesamten Geschehen eine schön eigenartige, als auch bedrohliche Note gibt. Dadurch bleiben neue Gegnerbegegnungen stets ein kleines Highlight und halten die Spielmotivation (zumindest auf ästhetischer Ebene) aufrecht.
Die Gesichtsanimationen, mit denen man sich vor allem in den Dialogsequenzen in Fort Tarsis konfrontiert sieht, können ebenfalls überzeugen, auch wenn hierbei kleinere, unrunde Bewegungsanimationen (die jedoch eher selten auftreten) hingenommen werden müssen. Hinzu kommen die detailliert und umfangreich animierten Javelin-Anzüge. Jeder einzelne Javelin hat einen spürbar eigenen Charakter, sowohl in seinen Fähigkeiten, als auch in seiner Darstellungsweise. Vor allem in den Gruppenmissionen können die Javelins in ihrer Diversität glänzen. An Anthem lässt sich somit auf optischer Ebene so gut wie gar nichts bemängeln. Der grundlegend futuristische Look der Javelins, gepaart mit einer imposanten Landschaftsdarstellung und der sich zwischen Vergangenheit und Zukunft befindenden Inszenierung von Fort Tarsis entwirft einen eigenwilligen und zugleich wunderschönen Gesamteindruck, wodurch Anthem diesbezüglich den Genre-Konkurrenten wie Destiny oder Warframe einen Schritt voraus ist.
Die Qual der Wahl
Insgesamt stehen vier verschiedene Javelins zu Verfügung, die nach und nach freigeschaltet werden können. Zum einen wäre da der sogenannte „Storm“-Javelin. Dieser Kampfanzug kann im übertragenen Sinne als eine Art Magier-Klasse gesehen werden, denn der Javelin schwebt im Kampf über dem Geschehen und kann mithilfe von Blitz-, Eis- und weiteren Elemtarangriffen für viel Furore sorgen. Der „Colossus“ hingegen verspricht, wie der Name schon vermuten lässt, rabiate Nahkampaction mit spürbarer Stärke und Wucht. Zwar sind Bewegungsmöglichkeiten durch die große Panzerung etwas eingeschränkt, in Kampfsituationen verhält es sich damit aber wenig störend. Der „Interceptor“ hingegen erweist sich als der beweglichste und schnellste Javelin. Spezialisiert auf schnelle Nahkampfangriffe kann der „Interceptor“ in logischer Ergänzung zum „Colossus“ genutzt werden. Letztlich führt der „Ranger“ die unterschiedlichen Fähigkeiten der anderen Javelins in Teilen zusammen und zählt somit als vielseitigster Kampfanzug. Alle vier Javelins sorgen somit für eine individuelle und ausgewogene Möglichkeit der Spielanpassung und lassen sich weiterführend anhand unterschiedlicher Komponenten bezüglicher ihrer Stärke, als auch ihrer Optik anpassen. Dies funktioniert mit fortschreitender Spieldauer immer besser, was für einen Loot-Shooter aber auch wenig überraschend sein sollte.
Anthem steht sich selbst im Weg
Das Gameplay kommt enorm actiongeladen daher, der Fokus liegt klar auf ausgiebigen Ballereinlagen und großen Gegnerhorden. Vor allem im Vierersquad knallt und kracht es ohne Ende, sodass es teilweise sogar dazu führen kann, in dem ganzen Chaos den Überblick zu verlieren. Die Kämpfe gestalten sich grundsätzlich aber als rundum spaßig und sorgen vor allem im Mehrspieler-Erlebnis für eine unterhaltsame Spielzeit. Auch das Fliegen von Checkpoint zu Checkpoint kann als große Stärke von Anthem gesehen werden, denn die Flugkontrolle, als auch das Fluggefühl gestalten sich als enorm amüsant. Allen voran das jüngst erschienene „Spiderman“ hat gezeigt, welch großen Unterhaltungsfaktor ein ausgereiftes und technisch brillant umgesetztes Fortbewegungsprinzip haben kann. Anthem schlägt hier einen ähnlichen Weg ein und schafft es, selbst die banalsten Bewegungsabläufe als kleines Highlight des Spiels zu präsentieren. Somit können auch längere „Reisepassagen“ ohne wirkliche inhaltliche Relevanz (von denen es zugegebenermaßen nicht allzu viele gibt), problemlos verkraftet werden.
Leider aber steht dem unbeschwerten Spielspaß ein unmotiviertes und schlichtweg langweiliges Missionsdesign im Weg. Nahezu jeder einzelne Auftrag verläuft nach demselben Schema: Vorgegebene Missionspunkte abfliegen, Gegnerhorden beseitigen, Artefakte sammeln oder Generatoren zum Laufen bringen und zum Fort Tarsis zurückkehren. Wirkliche Variation lässt dabei auf sich warten. Angesichts der angesprochenen tollen grafischen Inszenierung von Anthem bleibt somit einiges an Potential auf der Strecke, selbst der Mehrspieleraspekt kann dem eintönigen Missionsdesign nur wenig entgegenwirken. Anthem wird sehr stringent erzählt, dabei kommen auch typische Loot-Shooter-Quests nicht zu kurz. Oftmals muss lediglich eine gewisse Anzahl von Kills, gesammelten Objekte, etc. erreicht werden um die Mission erfolgreich zu absolvieren. Innovation klingt anders. Der allgemeine Loot-Shooter-Charakter von Anthem macht sich erst nach einigen Spielstunden so richtig bemerkbar. Vor allem die ersten Missionen gestalten sich aufgrund von uninspirierten Waffen und Loot-Objekten äußerst anstrengend. Der gesammelte Loot kann dabei nur in Fort Tarsis angepasst und verbaut werden. Mit andauernder Spielzeit vermehren sich aber dann auch die Erfolgs- und Motivationsmomente. Vor allem das Freispielen der verschiedenen Javelins sorgt dabei für die größte Abwechslung im Gameplay und ermöglicht das freie Herumprobieren der unterschiedlichen Fähigkeiten.
Die Javelins lassen sich, wie bereits erwähnt, auch umfangreich individuell gestalten, um somit jedem einzelnen Anzug einen eigenen und persönlichen Touch zu verleihen. Nach Beendigung der Story können noch Festungen gestürmt werden um kostbaren Loot zu sammeln. Diese kleineren Quests sind zwar durchaus unterhaltsam, dafür aber von sehr kurzer Dauer. Anthem schafft es insgesamt leider nicht, die Motivation auf lange Sicht aufrecht zu erhalten. Auch, wenn sich das Spiel nach und nach hinsichtlich interessanter Loot-Objekte immer mehr ausweitet, der Funke will trotz allem nicht so richtig überspringen. Dafür sind die Missionen einfach zu eintönig, die Geschichte zu uninteressant und der eingeschränkte Handlungsfreiraum bezüglich der Missionsauswahl zu sehr spürbar. Anthem steht sich in Sachen Gameplay häufig selbst im Weg. Potential gibt es ohne Ende, nur muss noch abgewartet werden, ob Anthem es schafft, dieses Potential mit sinnvollen Patches und DLCs vollends auszuschöpfen.
Erfahre hier, wie der Titel in unserer Wertung abgeschlossen hat.
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Erstellt von Rufus
Zuletzt online: 3 Jahre 8 Monate
Kategorie:
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Aktualisiert
05. 04. 2019 um 12:07
05. 04. 2019 um 12:07
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